Nur ein bisschen verbrannter Lehm

Den ganzen Vormittag über ist ein ständiges Gewusel und Getue rund um den Ofen. Bis auf Jan und Lennart, die in ihren Testschnitten vor sich hin arbeiten, Andrea und Mariana, die auch mit eigenen Schnitten beschäftigt sind und Malte, Bjarne und David, die versuchen eine große schwarze Plane zu bändigen, um Schatten auf die freigelegten Überreste des Hauses zu werfen, damit Kai es fotografieren kann, sind alle am Ofen zugange. Keine Wolke am Himmel aber leichter Wind. Es wird heiß heute.

Ich war einen Tag nicht auf der Grabung, um den Ofen herum ist eine Menge archäologiefreier Boden abgetragen worden. Die Arbeiter aus dem Dorf sind mit Spaten und Schaufeln dabei, die Vertiefungen zu erweitern und zu einem großen Graben um den Ofen herum zu verbinden, um diesen für den Abtransport vorzuberreiten. Neben mir hocken Andrei und Sasha, sie warten rauchend, bis ihre Schubkarre wieder voll ist und zum Abraumhaufen gefahren werden kann.

In den vergangenen Wochen war es deutlich ruhiger um den Ofen. Meistens war Slava alleine mit den sorgfältig freigelegten Tonresten beschäftigt. Mit feinsten Pinseln und Kunstharz frickelte er tagelang in der Mittagssonne vor sich hin. Hier noch ein paar Erdkörnchen weghauchen, dort eine wackelige Stelle fixieren. Jetzt ist der Unterbau so weit vorbereitet, dass die Arbeiter den Boden rundherum abtragen können. Der Unterbau ist überhaupt das einzige, was von dem Ofen noch übrig ist: eine Fläche, auf der das Feuer gemacht wurde und zwei Brennkanäle. Von der Kuppel und vom Schutzdach ist nichts mehr übrig, darüber lassen sich nur noch Vermutungen anstellen.

Inmitten der spatenden Arbeiter, beschallt von zweierlei Musik, beugt sich Vitali über den Ofen. Bewaffnet mit einer Suszipistole nimmt er alle paar Zentimeter Messungen vor. Slava leitet das Kabel, was von dem Messgerät zu Robert führt, der mit einem Toughbook auf den Knien an einem der Graben hockt und die Ergebnisse ausliest. Zwischen dem Dreiergespann wuselt Knut herum und erklärt Teile des Equipments, immerhin stammt das schicke Gerät aus seinem RGK-Arsenal. Sie messen die Suszeptibilität (oft auch liebevoll „Suszi“ genannt) des Ofens, also seine Magnetisierbarkeit. Anhand der Ergebnisse dieser Messung können sie die Magnetikpläne, also Ergebnisse der geomagnetischen Prospektion, die hier vor ein paar Jahren vorgenommen wurde besser interpretieren und auslesen. Bei der geomagnetischen Prospektion werden magnetische Anomalien gemessen, also Abweichungen vom normalen Erdmagnetfeld. Erzeugt werden diese Anomalien zum Beispiel durch Tonscherben oder andere Tonreste, sodass man nach dieser Messung einen Plan hat, der einem recht deutlich sagen kann, wo es Häufungen von Funden gibt. Je nach Größe und Form dieser Häufungen lässt sich vermuten, um was für eine Struktur, also was für ein Gebäude es sich handeln könnte.

In diesem konkreten Fall sind die Suszibilitätsergebnisse an der Stelle des Ofens, wo das Feuer gemacht wurde und wo dadurch der Ton am stärksten ausgehärtet ist, am höchsten. Wenn man nun also auf den Magnetikplänen nach ofenförmigen Strukturen sucht und dann schaut, an welchem Punkt die Magnetik am stärksten anschlägt, kann man feststellen, an welcher Stelle des Ofens das Feuer gemacht wurde und kann damit auch die Ausrichtung des Ofens feststellen, ohne ihn ausgraben zu müssen. Knut scheint ziemlich begeistert von dieser ganz frischen Erkenntnis und auch ich finde es spannend, bei einem solchen Moment dabei zu sein.

Johannes hat mir währenddessen einiges über diesen Ofen erklärt. Eine der Grundfragen der ganzen Grabung, ja der ganzen Tripolje-Forschung lässt sich, zumindest bis zu einem gewissen Grad auf diesen Ofen beziehen. Es handelt sich hier ja um eine ziemlich große Siedlung, 25 ha groß, dementsprechend bestehend aus etwa 250 Häusern. Die anderen dieser Siedlungen, zum Beispiel Maidanetske in der Ukraine sind zwar teilweise größer, haben aber vergleichbare Konzepte, vergleichbare Anordnungen der Gebäude.

Nun ist die große Frage, ob es sich hierbei schon um Städte handelt oder ob es bloß Siedlungen sind.

Man könnte von Städten sprechen, wenn es deutlich erkennbare Handwerkerviertel gäbe. Also mehrere Häuser mit Funden, die auf eine spezialisierte Produktion hindeuten.

Spezialisten muss es auf jeden Fall gegeben haben. Zumindest Teilzeitspezialisten. Um einen solchen Zwei-Kanal-Ofen zu betreiben braucht es jede Menge Erfahrung und Innovation. Immerhin können mit einer solchen Anlage bis zu 2400° C erreicht werden. Das würde schon zur Kupfermetallurgie reichen, also Kupfergießen ermöglichen. Der Fundlage nach ist es hier nicht so weit nicht gekommen, in vergleichbaren Siedlungen wie z.B. im ukrainischen Maidanetske gibt es das aber durchaus schon. „Wir bewegen uns hier zeitlich im „Chalkolithikum“, ja mit „ch“, also in der Kupferzeit“, sagt Johannes.

Robert hat sich inzwischen zu uns gesellt und hockt mit einer Zigarette am Abraumhügel. Die beiden scheinen sich weder sicher noch wirklich einig zu sein, ob ihnen dieses „Teilspezialistentum“ ausreicht, um von einer Stadt zu sprechen.

Sie fangen an, in ihrem Wissensschatz nach ein paar Zahlen zu graben („Deine Zahlen sind immer doppelt so hoch“. -„Ja aber das hat auch gute Gründe.“) Schließlich rechnen wir mit 250 Häusern, die gleichzeitig bewohnt werden und einem jeweiligen Inventar von 40 Gefäßen. Wenn dann jedes Jahr 1-3 Pötte im Jahr erneuert werden, müssen im Jahr also 500-1000 neue Gefäße hergestellt werden. Wenn davon ausgegangen wird, das pro Brand etwa 20 Gefäße verarbeitet werden können, landet man, sofern man Fehlbrandraten von 10-50% ausschließt, bei etwa 50 Bränden pro Jahr.

Nun gibt es aber über die Siedlung verteilt auch noch mehrere Öfen und es ist nicht ganz klar, ob die alle zeitgleich in Betrieb waren und damit eine eher geringe Produktionsrate von viellicht 5-10 Bränden im Jahr hatten, oder von aufeinanderfolgenden Generationen an unterschiedlichen Stellen innerhalb der Siedlung intensiv, also um die 50 mal im Jahr, dafür dann aber nur für wenige Jahre genutzt wurden.

Diese Siedlung existierte laut den C14-Berechnungen von 3950 bis 3750 v. Chr., also über eine Dauer von acht Generationen à 25 Jahre. Wenn nun jede Generation zusammen einen Töpferofen betrieben hat, müssten in der Siedlung etwa acht Öfen gefunden werden. Dass diese Anzahl mit weiteren Prospektionen erreicht wird, ist recht wahrscheinlich. Diese Anzahl an Öfen könnte aber auch für die andere Theorie sprechen, also dafür, dass es mehrere Öfen gab, die gleichzeitig in Betrieb waren, dafür aber nur sporadisch genutzt wurden.

Um die Rechnung noch weiter zu verkomplizieren, sollte an dieser Stelle der Ofen aufgeführt werden, der bei der vorjährigen Grabung zutage gefördert wurde. Er war deutlich besser erhalten, als der, um den die Arbeiter weiterhin Spatenstiche machen und Schubkarren vollschaufeln. Trotzdem sind an dem aktuellen Ofen laut Stas zahlreiche Ausbesserungen zu entdecken. Das macht das ganze aber auch nicht einfacher. Antworten wird es hier also nicht geben, aber immerhin können die Fragen vorgestellt werden.

Die bloße Entdeckung dieser Öfen sei schon ein Sensation, meint Johannes. Man habe so etwas hier schlicht nicht vermutet. Öfen von dieser Komplexität gäbe es um diese Zeit sonst nur in Mesopotamien, also in einem völlig anderen gesellschaftlichem Kontext. In Städten, die von einer Hierarchie geprägt waren, die hier völlig auszubleiben scheint. Soweit, dass man gar von einem ziemlich gleichberechtigten Siedlungsverbund ausgehen möchte. Gleichberechtigt meint hier vor allem das fehlen einer institutionalisierten Klassengesellschaft. Warum konnte so eine Gesellschaft entstehen? Und warum war es nach 200 Jahren vorbei und hinterlässt bloß die Überreste einer mutwillig niedergebrannten Siedlung?

Noch mehr Fragen.

Johannes muss jetzt weiter, etwas besprechen. Ich ordne meine Notizen. Malte ist noch da. Er hat die letzten 20 Minuten mit zugehört und steckt sich eine Camel an. „Es ist schon cool, dass man aus so wenig so viel machen kann, dass man daraus solche Theorien aufbauen kann. Das ist doch alles nur ein bisschen verbrannter Lehm.“