Fronturlaub

„Scheiß-Faschisten. Und Jonas bringt es auch noch Spaß uns zu wecken.“

Voller Freude starten wir am Samstagmorgen in den Tag. Am Abend zuvor haben wir im Magazin Mixed gefeiert und einen der Jungs verabschiedet, der hier mitgearbeitet hat und für den nun die Schule wieder losgeht.

Also ab ins Auto, losfahren, wieder unterwegs sein. „Ain’t No Grave“ von Johnny Cash läuft, während wir am Lenin-Denkmal im nächsten Ort vorbeifahren. Menschen warten auf den Bus in die nächste große Stadt, Sonnenblumen lassen in der Morgensonne ihre reifenden Köpfe hängen.

Wir erleichtern die nächste Tankstelle um jede Menge Knabberkram, es gibt sogar eine Kaffeemaschine, deren Sud unser Frühstück vervollständigt. Und es gibt Breiniki. Ich kaufe gleich zwei Tüten und biete sie den anderen so lange immer wieder an, bis keine mehr übrig sind.

Wir passieren die Grenze nach Rumänien („Nein, wir führen keine Zigaretten ein“.) und werden von Pferdewägen und besseren Straßen empfangen. Auf geht’s nach Iași.

Am Universitätsmuseum der Alexandru-Ioan-Cuza-Universität aus Iași werden wir von Magda Lazarovici und Doris Mischka empfangen. Zwei wichtige Archäologinnen. Die eine aus Rumänien, die andere aus Erlangen. Später werden wir noch ihre gemeinsame Grabung besuchen.

Wir haben leider nicht viel Zeit, uns in den paar kleinen dafür aber sehr feinen Räumen umzuschauen, doch was wir sehen wird für spektakulär befunden: In einem abgedunkelten Raum dreht sich eine Platte auf der eine Vielzahl kleinen Figuren („Figurinen“ genannt) in Kreisen angeordnet sind. Eine Kette  aus Tonperlen, in deren Mitte ein kleines Dreieck liegt, wird von Figürchen, die an Mensch-Ärgere-Dich-Nicht erinnern umringt. 21 weibliche Figurinen bilden einen weiteren Kreis, drumherum ein weiteren Ring aus unterschiedlichen gefäßförmigen Gebilden. Das „Pantheon aus Isaiia“.

Noch schnell ein paar Fotos gemacht und dann wieder ins Auto. Sehr schön dieses Museum. Sowohl die Exponate als auch das Gebäude haben uns gefallen. Nach drei Wochen Grabung und Dorf haben wir den glänzende Steinfußboden, die Klimatisierung und die seichte klassische Hintergrundmusik als sehr angenehm empfunden.

(Während sich Lennart hinter den anderen Autos her durch die Stadt fädelt, meint er, dass die Klassifizierung beinloser Figurinen hauptsächlich von der Betrachtungsweise abhänge. Je nachdem, wie man sie dreht, könne man entweder von einem Phallus oder einem geschwungen Frauenkörper ausgehen. Er findet das ziemlich lustig.)

Im Complexul Museal Naţional Moldova Iaşi im Palatul Culturii werden wir in einem Büro mit Kaffee empfangen. Doris Mischka zeigt uns Funde von ihrer Grabung und übergibt sie dann in die Obhut des Museums. Wir werden in die dazugehörige Ausstellung geführt.

Viele der Exponate stammen aus Scânteia, der Siedlung, an der Doris Mischka diesen Sommer gräbt. Die Siedlung ist ein paar hundert Jahre älter als „unsere“, die zeitliche Einordnung ist „Cucuteni A3“, wir graben in „Tripolje AB“.

„Cucuteni“ und „Tripolje“ meint die gleiche Zeit, bezieht sich aber auf unterschiedliche Fundplätze in unterschiedlichen Ländern mit unterschiedlichen Forschungsgeschichten. Weiter gegliedert werden diese Zeiträume mit Buchstaben und Zahlen.

Was die Scânteia-Siedlung so interessant macht, ist unter anderem ihre Lage im Gelände: Typischerweise werden solche Siedlungen auf einen Sporn, also einen Bergvorsprung gebaut und dann nach hinten mit einem Graben abgeschlossen. Hier wurde die Siedlung rechteckig angelegt, und die Geländelage dabei weitgehend ignoriert. Doris zeigt uns auf einer der Infotafeln einen Geländeplan. Wegen des Hangs wurde dort nicht gepflügt, das Haus ist also recht gut erhalten.

Wir schauen uns weiter die Ausstellung an. Malte entdeckt Gefäße, die er eindeutig als Schnapsgläser identifiziert. Bjarne meint, das ein Vasenaltar manchmal auch einfach nur ein Gefäß ist, das mit viel Phantasie umgedreht wurde und dann auf einmal als kultisch gelten kann.

Ich lese mir kurze Texte über die Bemalung von Keramik durch: „The three-color painting shall allow combinations in which the artists’ imagination seem to have no margins“. Bevor allerdings mit drei Farben bemalt wurde (polychrom), gab es Ritzverzierungen (monochrom), die teilweise mit Kalk ausgefüllt wurden, um weiße Linien zu erzeugen. Über die Verzierung lässt sich die Keramik meist zeitlich recht gut einordnen, auch die räumliche Verordnung funktioniert darüber.

Wir verlassen das Museum und machen uns auf den Weg zur Grabung von Doris Mischka und Magda Lazarovici.

Eine Spielgel-Affäre später kommen wir an der Schule in dem kleinen Dorf Scanteia an. Hier ist das Grabungsteam untergebracht. Es gibt prächtiges Essen, sogar mal Hühnchen, das nicht dampfgegart sondern gebraten und gewürzt wurde. Nachdem Gheorge Lazarovici, ebenfalls wichtiger rumänischer Archäologe uns mehrere Thermoskannen Kaffee hingestellt hat, wird uns der Rest der Unterkunft und dann schließlich die Grabung gezeigt.

Nun sehen wir vor uns, was vorhin im Museum erklärt wurde. Das Gelände, die Herdstellen, die unterschiedlichen Hausbereiche, diverse Installationen (Gheorge nennt sie „Lehmkasetten“) und die Pfostenlöcher, die nach wiederholtem Befeuchten und Trocknen in Erscheinung getreten sind.  Genau wie bei „unserer“ Siedlung stellt sich auch hier die Frage nach der Zweigeschossigkeit und natürlich auch allgemein nach dem Hausbau, der Hausarchitektur.

Auf dieser Fundstelle wird es noch heißer als bei uns. Teilweise wurde hier schon morgens um Fünf angefangen zu graben, um der Mittagshitze zu entgehen. Inzwischen sind sie fast fertig. Vier Tage noch. Dann fahren zumindest die Studenten wieder nachhause. Magda und George Lazarovici werden bleiben. Die Siedlung ist zu einem ihrer Lebensprojekte geworden.

Als wir an der Unterkunft ankommen, wird schon der Grillabend vorbereitet. Ob er denn kein richtiger Archäologe sei, wird David gefragt, als er einen Schnaps ablehnt. „Doch doch, na gut“. Stark aber durchaus lecker. Svetlana testet, ob der Schnaps brennt. Tut er. Ganz sauber, ohne blau in der Flamme.

Es gibt nicht genug Gläser und Becher. Kein Problem, Karsten schneidet ein paar Bierdosen auf und klappt den Rand um. Gläser seien für Leute, die keine Messer haben, das sage man zumindest in Maramuresh, erzählt er.

Am Grill wird das Fleisch auf den Grill gepackt. Die Maurerkelle ist hier Allroundwerkzeug: Scharf genug, um Verpackungen aufzuschneiden, gleichzeitig handlich genug, um Fleisch zu wenden.

Als das letzte Fleisch vom Grill ist, läuft tatsächlich die Indiana-Jones-Titelmusik, wir stoßen an.

An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal herzlich beim Scânteia-Team für die Museumsführungen, die Bewirtung und den tollen Abend bedanken!

Am frühen Nachmittag des folgenden Tages nähern wir uns Chişinau. Auf den letzten 50 Kilometern sitzen immer öfter Menschen am Straßenrand, manchmal auch in kleinen Grüppchen, manchmal allein. Sie verkaufen Obst und Gemüse, vor ihnen stehen Eimer voller Johannisbeeren, Auberginen, Paprika und Maiskolben.

Als wir in die Stadt kommen wecke ich David. Platanen, die schon anfangen gelb zu werden, säumen die mehrspurigen Straßen. Nicht lange und der Verkehr wird dichter, heute ist Tag der Unabhängigkeit, im Zentrum wird gefeiert. Ich finde es schön, in einer richtigen Stadt zu sein. Schließlich finden wir gegenüber vom Muzeul Național de Istorie einen Parkplatz. Mila schaut sich um und steckt sich dann eine Zigarette an. Keine Polizei in der Nähe.

Mariana holt uns an einer Seitlichen Pforte des Museums ab und führt uns durch den Hinterhof, vorbei an ausrangierten Jahrmarktswägen und Werkstätten und dann eine Treppe hinab in den weiten Keller des Museums. Nach der Hitze im Auto ist es hier unten angenehm kühl. Bis zum Ende erstrecken sich Metallregale voller Holz- und Blechkisten, außen herum ein paar Arbeitsplätze. Hier verbringen die Archäologen also ihren Winter. Arbeit mit den Scherben, die sie im Sommer ausgraben.

Mariana zeigt uns das Regal mit den Funden vom letzten Jahr, als auch schon in Stolniceni gegraben wurde. Hier landet dass dann also alles. Bald wird es wohl auch ein Regal geben, in dem Kisten mit der Aufschrift „Stolniceni 2017“ stehen.

Den restlichen Tag verbringen wir damit, gegenüber vom Museum zu essen und uns von Mariana ihre Stadt zeigen zu lassen. Wir sehen das Parlamentsgebäude, welche die Form eines geöffneten Buchs hat. Kein anderes Gebäude in der Stadt darf höher sein, als das Parlament, sagt Malte. Gegenüber der Turm des Premierministers. Ein Stück weiter ist der Platz, auf dem jetzt die Unabhängigkeit gefeiert wird, rundherum kleine Stände mit Souvenirs und Zeug. Eine schöne Stadt, finden wir. Mit 500.000 Einwohnern recht klein, aber trotzdem sehr schön.

Während sich ein paar von uns schon auf den Rückweg machen, trinken wir noch ein Bier. „Nur noch zehn Tage graben“, stellen wir fest. Das ging ziemlich schnell.